Antje Nikola Mönning

 

„Nicht normal“ ist ganz normal

 

Taschenbuch, 367 Seiten mit 46 Fotografien in  S/W und Farbe

 

Frisch, frech und unzensiert – in „Nicht normal“ ist ganz normal“ nimmt Schauspielerin Antje Nikola Mönning uns mit auf eine Entdeckungsreise in die Welt der Sexualität. Dabei geht sie der Frage nach, ob wir als Gesellschaft wirklich schon so tolerant sind, wie wir es gerne glauben. Und wer bestimmt eigentlich, was „normal“ ist? Sind wir nicht alle ein bisschen kinky?

Mönning spricht nicht nur gewohnt offenherzig über ihren eigenen Weg zu einer befreiten Sexualität, sondern lässt auch andere Menschen ihre Geschichten erzählen. Dazu gehören zum Beispiel ein kämpferisches Camgirl, eine trans Frau, die ihre Kinder nicht verlieren möchte, eine selbstbestimmte Prostituierte, ein professioneller Pornodarsteller und ein ehemaliger Pornosüchtiger, Menschen, die BDSM praktizieren, einen Fetisch haben, sich gerne nackt zeigen oder in Swingerclubs gehen, Menschen, Crossdresser, Paare in offenen Beziehungen und asexuelle Menschen.
Es geht um Politik und Sex, Selbstbetrug und Ehrlichkeit und darum, endlich die ganze Vielfalt der Sexualität anzuerkennen – ohne Vorurteile und falsche Scham.

Deutsche Wirklichkeit, fernab von aufgebauschten Schlagzeilen oder klischeehaften Darstellungen.

Berührend, authentisch, ermutigend.

Erhältlich ab 27.04.2023 im Buchhandel oder direkt bei uns:

https://www.wtp-verlag.de/buecher/nicht-normal-ist-ganz-normal

 

EINLEITUNG

Als ich neulich für ein Kunstprojekt im Internet nach einem Gartenzwerg mit Fackel suchte, bot mir Google als erste Treffer (oberste Reihe, Bilder) vier nackte Gartenzwerge an, darunter einen Exhibitionisten-Gartenzwerg. Ich fragte mich natürlich, wo Google die Verbindung sieht: Sind Nackte so heiß, also quasi »on fire«, dass sie automatisch mit einer Fackel assoziiert werden? Oder hatte Big Brother ganz einfach den Namen meines iPads mit den über mich veröffentlichten Berichten kombiniert und daraus eigene Schlüsse gezogen? (Wenn bei euch auch nackte Gartenzwerge auftauchen, sobald ihr »Gartenzwerg mit Fackel« eingebt, schreibt mir bitte, es interessiert mich brennend!) Dann entdeckte ich unter den Vorschlägen noch einen Fetisch- und einen Domina-Gartenzwerg und dachte mir: Super! Wenn es die »Perversen« in das Refugium des urdeutschen Kleinbürgers geschafft haben, dann ist Deutschland aber echt locker geworden! Nur bedeuten ein paar frivole Gartenzwerge, der Hype um 50 Shades of Grey¹ und zwei trans Frauen im Bundestag wirklich, dass wir toleranter gegenüber sexuellen Neigungen, Orientierungen und Identitäten geworden sind, die nicht der Norm entsprechen? Und was ist überhaupt »die Norm«?

Als ich im Dezember 2018 wegen meines »Parkplatz-Strips« vor Gericht stand, worauf ich im ersten Kapitel noch eingehen werde, rollte eine große Shitstorm-Welle über mich hinweg. Oder vielleicht sollte ich es so ausdrücken: Diejenigen, die sich über meine Aktion empörten, krakeelten wesentlich lauter und derber als diejenigen, die das Ganze als ein Zeichen gegen Prüderie und Doppelmoral verstanden hatten oder einfach nur witzig fanden. Gleichzeitig erhielt ich unzählige Nachrichten von Menschen, die mir von ihren eigenen Erfahrungen mit ihrer exhibitionistischen Neigung berichten wollten. Dazu zählen zum Beispiel ein Paar, das aus dem Hotel ge[1]schmissen wurde, weil sie dem Zimmerservice nackt die Tür geöffnet hatten, ein leidenschaftlicher Nacktwanderer, der Bußgeld zahlen musste, weil er allein (!) nackt im Wald wandern gegangen war, und ein Pärchen, das gerne Parkplatzsex betreibt und dabei auch schon mal von Polizisten beobachtet wurde – allerdings waren diese etwas cooler drauf als »meine«, denn sie haben das Schauspiel einfach genossen, sich bedankt und sind dann weitergefahren.

Falls also nicht plötzlich eine Exhibitionismus-Epidemie ausgebrochen ist, scheint es auf jeden Fall recht verbreitet zu sein, ich gerne nackt zu zeigen. Kann man jetzt behaupten, das sei »normal«, weil so viele Menschen es tun? Wer definiert denn die Norm? Die Gesellschaft? Aber gibt es »die« Gesellschaft überhaupt?

Fest steht, als natürlich wird öffentliche Nacktheit auf jeden Fall nicht betrachtet, und es scheint einen Unterschied zu geben zwischen nackten Skulpturen, nackten Brüsten auf Magazin[1]covern, die überall in Supermärkten und Tankstellen ausliegen ,halb oder ganz nackten Menschen in Reality-Formaten – und Nackten, die live und in Echtzeit im alltäglichen Leben auftauchen. Was ist aber nun so bedrohlich an Nackten, dass sie dafür bestraft, stigmatisiert oder diffamiert werden? Ich verstehe das Argument der Ästhetik, aber ganz ehrlich: Viele Menschen sind auch im angezogenen Zustand nicht gerade eine Venus oder ein Adonis. Und im Gegensatz zu anderen Belästigungen im öffentlichen Raum kann man sich dieser sehr schnell entziehen, indem man einfach wegschaut.

Vor kurzem saß ich zum Frühstücken auf der Terrasse eines Cafés in der Innenstadt. Es war strahlend schönes Wetter und ich wollte gerade voller Genuss in mein Croissant beißen, als mich eine Welle von Parfum und Aftershave erreichte, die mir fast den Atem raubte. Sofort ließ ich das Croissant sinken und schaute mich nach dem Ursprung dieser Attacke auf meinen Geruchssinn um. Sie wehte von einem weiter weg gelegenen Tisch zu mir herüber, an dem eine Gruppe junger Männer saß. Blitzschnell checkte ich die Lage. Sie hatten gerade erst bestellt, also bestand keine Chance, dass sie bald gehen würden. Ich stand auf und roch, ob es an einem der anderen Tische besser war, aber überall lag der gleiche schwere süßliche Geruch in der Luft, als hätte jemand von oben eine Stinkkanne über diesem Platz ausgegossen. Da ein Tischwechsel ganz offensichtlich nichts bringen würde, dachte ich: Nase zu und durch – was sehr schwierig ist, wenn man essen möchte. Was hätte ich machen sollen? Eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses stellen? (Denn ich ärgerte mich und es war ein öffentlicher Platz.) Sie bitten, aufzustehen und zu gehen, oder sich doch zumindest gründlich abzuduschen und umzuziehen? Nein. Wenn es diesen Männern gefällt, solch eine Duftwolke zu verströmen, dann ist das ihr Recht, auch wenn es mir mein Frühstück versaut hat. Ich werde auch keine Eltern anzeigen, deren Kind einen ganzen Laden mit seinem Geschrei terrorisiert, selbst wenn das teilweise schon unter Lärmbelästigung fällt. Ich werde noch nicht einmal hingehen und sie bitten, ihr Kind leiser zu stellen, weil Kinder keine Lautstärkeregler haben und es für Eltern eh schon ziemlich schwer ist, Kind und Alltagsleben miteinander zu vereinbaren. Nein, ich akzeptiere es und sehe es als einen Kompromiss, den ich mit dem Leben zu machen habe, wenn ich mich in einen öffentlichen Raum begebe, denn die Welt dreht sich nicht nur um mich und meine Befindlichkeiten, sondern auch um einen ganzen Haufen anderer Menschen.

Warum schreibe also ausgerechnet ich jetzt und überhaupt ein Buch über Sexualität? Gibt es nicht schon genug psychologische und wissenschaftliche Ratgeber zu diesem Thema? Na klar gibt es die, und es befinden sich sehr viele gute darunter. Ich stelle auch gar nicht den Anspruch an mich selbst, einen Ratgeber zu schreiben. Zwar werde ich immer wieder gefragt, wie ich es denn geschafft habe, so »frei« zu sein, aber darauf kann ich nur ehrlich antworten, dass ich nicht frei bin. Kein Mensch, der ernsthafte Bindungen mit anderen Menschen eingegangen ist, ist frei. Denn ab dem Moment, wo mir jemand etwas bedeutet, sorge ich mich auch um diesen Menschen und gehe Kompromisse ein – freiwillig. Das nenne ich Leben. Befreien können wir uns nur selbst von äußeren und inneren Zwängen und Erwartungshaltungen, sofern sie uns stören oder zu einem Leidensdruck führen, wie es in der Psychologie so schön heißt. Um frei für das zu sein, was in uns schlummert. »Werde, der du bist«, sagte schon Nietzsche. Und vielleicht können wir dann auch frei werden für andere Menschen, wie sie sind.

Leider habe ich festgestellt, dass immer noch in keinem Bereich so viel gelogen und betrogen wird wie in der Sexualität – außer vielleicht bei der Steuererklärung. Das fängt damit an, dass einige Menschen völlig unsinnig stöhnen, obwohl sie nicht geil sind, und endet beim Fremdgehen. Auf Facebook habe ich die meisten eindeutigen Angebote von Männern erhalten, die sich auf ihrem Profilbild mit ihrer Partnerin zeigten. Einer schrieb es ganz direkt: »Meine Frau heißt auch Antje, aber die ist total prüde. Die würde ich sofort gegen dich eintauschen!« Aber am größten ist wohl immer noch der Selbstbetrug. Solange wir Angst vor dem haben, was wir in uns selbst entdecken könnten, werden wir nie zum eigentlichen Kern durchdringen. Wie viele Menschen denken beim Sex an andere? Wie viele stellen sich andere, aufregendere Situationen dabei vor? Wie wenig wird ehrlich über die eigenen Bedürfnisse geredet?

Es gibt Wichtigeres im Leben als Sex, aber Sexualität ist nun einmal eine sehr starke Kraft, und kaum etwas ist für die Selbsterkenntnis – und damit auch fürs Selbstbewusstsein – so entscheidend wie die eigene Sexualität. Und da ich aus eigener Erfahrung weiß, wie Scham, Verdrängung und falsch gelebte Sexualität einen Menschen ganz unsicher und unglücklich machen können, habe ich den Wunsch, Menschen zu ermutigen, sich und ihre Sexualität besser kennenzulernen, sie zu akzeptieren und zu ihr zu stehen. Denn es ist nicht nötig, sich zu schämen oder sich selbst zu verleugnen. So etwas wie »normal« gibt es in der Sexualität einfach nicht. Oder anders ausgedrückt: Es ist eigentlich alles »normal«, natürlich immer vorausgesetzt, es geschieht im gegenseitigen Einverständnis. Der amerikanische Sexualforscher Alfred Kinsey (1894-1956) hatte ein Credo: »Es gibt nur drei sexuelle Abnormitäten: Abstinenz, Zölibat und verzögerte Heirat.« Um Menschen, die abstinent sind oder ihre Jungfräulichkeit für die Hochzeit aufsparen, soll es hier nicht gehen (obwohl auch sie für ihren Umgang mit der Sexualität respektiert werden sollten). Um die Asexuellen, von denen es nicht wenige gibt und die ebenfalls noch oft mit Vorurteilen zu kämpfen haben, schon. In den vergangenen Jahren bin ich zu einer Art Kummerkasten für viele Menschen geworden, die sich nicht trauen, ihre Sexualität offen zu leben. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass das, wonach sich die meisten Menschen mindestens genauso sehnen wie nach gutem Sex, Verständnis ist. Da ich das, was ich denke, voll und ganz und mit großer Leidenschaft verkörpere, bin ich für viele Menschen eine Ansprechpartnerin geworden, der sie vertrauen. Deshalb haben mir viele ihre Geschichte erzählt. Ich habe dann einfach ein paar Fragen gestellt. »Warum machst du es nicht, wenn du es doch geil findest?«, zum Beispiel. Und oft habe ich zur Antwort bekommen: »Das geht doch nicht. Wenn das mein Arbeitgeber herausfindet!« Dass Angestellte Sex haben, dürfte Vorgesetzte eigentlich nicht stören. Oder könnt ihr euch vorstellen, dass diese so reagieren: »Waaaaas? Sie haben SEEEEEX? Na, dann muss ich Sie entlassen.« Eher unwahrscheinlich. Es scheint also nur um bestimmte Sexpraktiken zu gehen, die für abstoßend und nicht tragbar gehalten werden könnten. Eigentlich geht niemanden das Sexleben anderer Menschen etwas an. Aber was würde wohl passieren, wenn man eine Politikerin oder einen Lehrer in einem Swingerclub, bei einer SM-Session oder einem Porno-Dreh erwischen würde? Bestimmte Berufe scheinen es von vornherein unmöglich zu machen, auch nur zu tindern. Und warum? Ich weiß nicht, was an BDSM-, Porno[1]oder Swinger-Praktiken schlechter sein soll als an … ja, was? An »normalem« Sex? Womit wir wieder bei der Frage wären, was denn eigentlich »normaler« Sex ist.

Und damit kommen wir zu mir: Warum erzähle ich in diesem Buch auch so viel von mir? Ganz einfach: Weil ich als anerkannte »Nicht-Normale« gelte und von journalistischer Seite selten die richtigen Fragen gestellt bekomme. Die meisten möchten nur wissen, ob es schwer ist, Sex vor der Kamera zu haben. (Nein.) Oder ob ich ein rückwärtsgewandtes oder vorwärtsgewandtes Frauenbild verkörpere. (Weder noch. Ich glaube an die Intelligenz von Frauen. Sie können gut für sich selber entscheiden, wie sie leben möchten.) Oder wie ich den anderen, also den nicht-exhibitionistisch veranlagten Menschen, vermitteln würde, was es bedeutet, Exhibitionistin zu sein. (Kann ich nicht. Ich kann auch nicht nachvollziehen, was Menschen an einem Fetisch erregt, so sehr sie sich Mühe geben, mir dieses Gefühl zu beschreiben. Wichtig ist nur, dass ich ihre sexuelle Neigung respektiere.)

Dabei interessiert es die meisten Menschen, die mir geschrieben haben, viel mehr, wie ich es geschafft habe, mich sexuell zu befreien. Und da ich eben auch in künstlerischer Hinsicht exhibitionistisch veranlagt bin, erzähle ich im ersten Teil meines Buches meine eigene Geschichte und garniere alle Kapitel mit Fotografien. Einen separaten Teil mit farbigen Bildern findet ihr auf den letzten Seiten. Da ich euch nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Hören und Schauen einladen möchte, habe ich manche Texte mit QR-Codes versehen. Wenn ihr diese mit eurem Smartphone scannt oder den Links folgt, gelangt ihr zu Videos von meinen Fotoshootings, zu Audiodateien von einigen der im Buch vorkommenden Gespräche – und zu einer Überraschung.

Der zweite Teil des Buches ist eine Reise durch die Welt der sexuellen Neigungen, Orientierungen und Identitäten, wie sie fernab von aufgebauschten Schlagzeilen oder diskriminierenden Diskussionen gelebt werden. Hier erzählen andere Menschen ihre Geschichte. Menschen, die ich teilweise mehrere Jahre lang begleitet habe. Manche dieser Geschichten sind berührend, manche lustig, manche ermutigend, doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind echt. Deutschland privat, sozusagen.

Und dieses Deutschland ist sehr vielfältig.

Antje Nikola Mönning (geb. 1977 in Münster) tourte schon direkt nach dem Abitur mit einem Broadway-Musical durch Nordamerika und Europa. Von 1999-2001 absolvierte sie die Schauspielschule Schauspiel München. Danach spielte sie an nationalen und internationalen Theaterbühnen und in verschiedenen TV-Serien (u.a. im Hauptcast der beliebten ARD-Serie Um Himmels Willen). In dieser Zeit begann sie auch mit dem Schreiben. 2006 gehörte sie als Co-Autorin und Sprecherin des Hörspiels Einer für alle zu den Finalisten des ARD-Newcomer-Wettbewerbs „Premiere im Netz“.
Seit 2007 gehört sie als Produzentin, Schauspielerin und Komponistin fest zum Team der wtp international Film GmbH. Bei mehreren Filmen war sie auch an der Entwicklung der Drehbücher beteiligt.
Nebenbei schreibt sie immer wieder essayistische Beiträge für ihren Blog.
2021/2022 gestaltete sie zusammen mit Roland Reber und Mira Gittner das multimediale Buch psst … Gedichte . Gedanken . Geschichten von und mit Roland Reber, für das sie auch eine Einleitung schrieb.
2023 ist ihr erstes Buch  Nicht normal ist ganz normal auf der Leipziger Buchmesse erschienen. Bisherige Lesungen fanden u.a. im Rahmen von „Leipzig liest“ in der Voegelei Leipzig, auf der BoundCon München und im Theater unterm Turm in Berlin statt. Weitere Städte wie Essen, Wien, Hamburg und Stuttgart folgen.

Farbige Abbildung

Foto: Martin Kagerer

Systemsprengerin

Foto: Marcel Gregory Stock

Gelebte (Latex-) Geschichte

Foto: Mira Gittner