Roland Reber Filmreihe: jetzt auch als Stream

Vielleicht ist es Zeit für einen kurzen Rückblick.

Nicht nur, weil Marina gegangen ist, sondern auch, weil ab jetzt unsere ersten drei Filme auch via Streaming bei amazon, iTunes, Maxdome und Google Play erhältlich sind. Es war das letzte Projekt, woran Marina für wtp gearbeitet hat. Manchmal denke ich, sie wusste (oder ahnte) zu dem Zeitpunkt schon, dass sie bald gehen wird und das war sowas wie ihr Abschluss bei wtp oder ihr Abschiedsgeschenk an uns. Also danke, Marina, für deinen unermüdlichen Einsatz, denn Antje und ich haben zu der Zeit schon am neuen Projekt gearbeitet – dem Roland Reber Buch PSST …, einem multimedialen Leseerlebnis mit Rolands Gedichten, Essays und Kurzgeschichten inklusive Video-und Audiodateien (seine Texte von ihm selbst interpretiert), das voraussichtlich am 11.11.22 erscheinen wird. Doch dank Marina sind jetzt seit dem 25. 6. alle wtp-Filme sowohl analog als auch digital zu sehen.

Also Zeit für einen Rückblick.

Vor 23 Jahren haben wir mit dem Psycho-Thriller DAS ZIMMER unsren ersten wtp-Film gedreht. Und ja, es war anders.

Wir „besetzten“ mit der Erlaubnis der dort wohnhaften Familie für einen Monat ein Haus, nisteten uns mit unserem damals noch spärlichen Equipment zwischen Küche („Bitte kurz nicht kochen, wir machen eine Tonaufnahme.“) und Wohnzimmer („Können wir die Sachen bis morgen so stehen lassen, bitte nicht verändern, wir haben eine Anschluss-Szene“) ein. Der Dolly war ein Rollstuhl, wir hatten eine Kamera, Ton und vier Film-Lichter – später waren es dann dedolights. Das Team bestand aus 6 Enthusiasten, das Drehbuch existierte nicht, aber wir hatten eine Idee und die Vision, zusammen einen Film von Tag zu Tag zu entwickeln, um uns damit in der Münchener Filmcommunity vorzustellen. Wir redeten also nicht lange darüber, einen Film zu drehen, sondern machten es einfach – es heißt ja auch Filmemachen und nicht Filmereden.

Es folgte ein Büro im Bayerischen Filmzentrum als Basis für weitere Produktionen und eine langjährige Reise zu internationalen Filmfestivals von Kairo über Melbourne, Beirut, Mexiko, Los Angeles, Kalkutta usw. Wir diskutierten dort mit Publikum und KollegInnen über unabhängiges Filmemachen und über Zensur. Denn wenn in Bangladesch nackte Körper im Kino nicht gezeigt werden dürfen, ist das Zensur durch den Staat, wenn aber FilmemacherInnen in Deutschland schon vor der Entstehung ihrer Idee anfangen, sich Gedanken darüber zu machen, wie der Film gestaltet sein muss, damit es bei den Redaktionen ankommt, ist das auch eine Form von Zensur, eine Selbst-Zensur im eigenen Kopf. Gegen beides sprach Roland sich offenherzig aus und zeigte durch die Art und Weise, wie wir diese ersten Filme drehten, dass es auch anders gehen kann. Auch wenn die wtp-Guerilla-Taktik sehr speziell ist.

 

Ich denke da an die Krankenhausszenen in unserem zweiten Film, der Satire PENTAMAGICA. Wir bekamen von der Krankenhausverwaltung die Erlaubnis, die Notaufnahme zu nutzen (mit den dazugehörigen Geräten, für deren Bedienung eine Krankenschwester abgestellt wurde), mit der Auflage, dass wir in den frühen Morgenstunden von Samstag auf Sonntag drehen, weil da laut Statistik die wenigsten Unfälle passieren, und dass wir es schaffen müssen, sollte es nötig sein, das Zimmer innerhalb von 10 Minuten zu räumen. Da wir wenige Leute waren, nur mit Kamera und Ton angereist waren, weil das Original-Licht des Raumes genutzt wurde, war das leicht möglich. Vielleicht war es vor 21 Jahren einfacher, eine Notaufnahme während des laufenden Betriebes ganz ohne Budget zu bekommen – nach Corona ganz sicher. Heute wird in „Filmkrankenhäusern“ gedreht und auch wir nutzten 2019 eine stillgelegte Krankenhausstation und eine extra Firma für Krankenhausrequisiten bei ROLAND REBERS TODESREVUE. Vielleicht aber war Ute damals nicht nur leidenschaftlich, sondern auch hartnäckig und so unkonventionell im Organisieren dieses Drehortes (und vielem mehr), dass unsere Vision des Filmes „überschwappte“ und zur Vision der anderen wurde. Die Idee zündete sozusagen und wir waren durch die spontane Art, von Tag zu Tag zu drehen und das Weglassen aufwendiger Technikaufbauten (weil wir sie gar nicht hatten), unglaublich agil und schnell, so dass wir unauffällig durch die Gänge des Krankenhauses geistern konnten – wenn man als Hexe, Schamanin, Geomantin und Magierinnen kostümierte Schauspielerinnen als unauffällig ansieht.
Roland wurde bei Interviews oder Publikumsgesprächen oft gefragt, wie er die Ideen zu seinen Filmen findet. Die Idee findet ihn, ist dann seine Antwort: „Der Film ist schon in meinem Kopf und ich muss nur warten, bis er herauskommt und ich ihn aufschreiben kann.“ Das konnte für uns manchmal fast zu spannend werden, wenn wir wie für ENGEL MIT SCHMUTZIGEN FLÜGELN zwei Wochen nur Motorrad-Fahrtaufnahmen filmten (aus dem Kofferraum eines VW Beatles heraus) und Patricia dazu Fotos von der nackten Antje auf dem Quad machte, in der Hoffnung, der Film möge sich Roland endlich offenbaren. Doch irgendwann war der Film dann tatsächlich da. Das Vertrauen in Rolands Geschichten hat sich immer gelohnt.
Noch vor der Idee steht eine Art Initialzündung, wie wenn zwei Komponenten miteinander reagieren und sich verbinden. Bei THE DARK SIDE OF OUR INNER SPACE waren das Roland und Ansu Sur, der Festivalleiter des Kolkata International Filmfestival. Das war in Kairo im März 2003. Wir saßen am Nil, tranken Chai und rauchten Shisha. Als Jurymitglieder des Cairo International Filmfestival for Children entspannten wir nach einem Tag Film-Marathon im Kinosaal. Ansu wisperte in Rolands Ohr: „Du, Roland, hast du Lust im November nach Kalkutta zu kommen, ich würde gerne eine Roland Reber Reihe bei meinem Filmfestival zeigen.“ „Du, Ansu, gerne, bin gespannt, ob sich Kalkutta in den letzten 10 Jahren verändert hat.“ „Du, Roland, wie heißen denn deine drei Filme, dann kann ich das an meine Presseabteilung weiterleiten.“ „Du, Ansu, wir haben bisher nur zwei Filme gedreht, die heißen DAS ZIMMER und PENTAMAGICA.“ „Oh, das ist aber ungünstig. Eine Reihe kann ich nur mit drei Filmen machen.“ „Dann hast du im November einen dritten Film für deine Roland Reber Reihe.“ „Oh, das ist toll, wie heißt denn der dritte Film?“ „Du, Ansu, vor ein paar Minuten wusste ich noch gar nicht, dass ich dieses Jahr noch einen Film drehe.“ „Ah ja. Und wovon handelt der Film?“ Roland sagte nun das Erste, was ihm in den Sinn kam: „Es geht um“ – und da das Gespräch in Englisch stattfand – „the dark side of our inner space.“ „Ist das der Titel?“ „Ja, Ansu, das ist der Titel.“

Roland hat sein Versprechen gehalten. Im November 2003 hatte THE DARK SIDE OF OUR INNER SPACE Weltpremiere in Kalkutta. Wir hatten uns im heißen Sommer 2003 vier Wochen mit dem gesamten Team (8 Personen) in eine Kaserne begeben – die Crew waren Ute und Claire, die geduldig in der Hitze ausharrten, bis wir anderen nach einer Szene aus den engen, aber kühlen Kellerräumen hervorkrochen – und am Ende des Sommers hatten wir den dritten Film der Roland Reber Reihe abgedreht. So entstand eine Art Trilogie. Denn diese ersten drei Filme haben zwar unterschiedliche Handlungen, sind aber nicht nur durch die Thematik – die Suche nach Leben und Identität – miteinander verbunden, sondern vor allem durch die freie Art und Weise, wie sie gedreht wurden. Vor Ort zusammen entwickelt. Vor Ort von Roland geschrieben. Vor Ort zusammen gedreht.
Und wenn ich so darüber nachdenke, wie wir angefangen haben, all die Erlebnisse wieder aufleben lasse, die wir gemeinsam mit unseren ersten drei Filmen rund um die Welt hatten, so denke ich gerne ein Stückchen vor und sehe uns, wie wir es wieder so machen. Das gleiche Spiel auf einem neuen Level, wie es in THE DARK SIDE OF OUR INNER SPACE heißt … einfach zusammenklönen und dann loslegen. Die Geschichte freilassen, sie nicht in ein Drehbuch stecken, das dann am Set einfach nur abgedreht wird, sondern sie sich selbst vor Ort entwickeln lassen und ihr und den SchauspielerInnen dann behutsam mit der Kamera folgen. Das ist unsere Vision, den nächsten Film zu gestalten. Was kann dabei schon schiefgehen? Entweder es kommt ein Film dabei heraus oder man hat ein paar Wochen seiner Zeit damit verbracht, zusammenzusitzen und sich gegenseitig Geschichten zu erzählen. Und auch wenn Roland nach seinem Schlaganfall selber nicht mehr schwätzen kann, so ist wtp ein Team – und auch wir anderen können und werden seine und unsere Geschichten, die eh schon immer in die Filme eingebunden wurden, erzählen.
Vielleicht sind ja all diese erlebten Geschichten von der Entstehung der Filme auch mal ein Buch wert – Titel: Guerilla-Filmemachen leicht gemacht. Mit Tipps, wie man zum Beispiel in Ägypten schnell an eine Drehgenehmigung für den Karnak-Tempel und die umliegenden Gebiete kommt. Wir stellten uns beim Direktor der Ausgrabungsstätten vor und als dieser erklärte, wie das übliche Prozedere für eine Drehgenehmigung sei, erheiterte Roland ihn erst mit seinen Anekdoten und meinte dann, es geht nicht darum, was üblich, sondern was möglich ist, denn in einer Woche würde schließlich schon unser Rückflug sein. Wir bekamen dann einen Archäologen-Ausweis, was als Drehgenehmigung für den Ägypten-Teil für DAS ZIMMER galt. Wir waren halt ein Mini-Team – Roland, Marina und ich – bis sich mitten in der Wüste Ali dazugesellte, der unbedingt das Kamerastativ durch die knallige Hitze tragen wollte. Der Kontakt zu Ali besteht immer noch.

Text: Mira Gittner

Roland Reber und Mira Gittner bei den Dreharbeiten zu das zimmer, Luxor/Ägypten 2001